Sonntag, 9. Oktober 2016

Programmheft GLOBAL-LOKAL


GLOBAL
LOKAL
29.TAGE NEUER MUSIK IN WEIMAR 26.-29.10.2016
GRUSSWORT
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
dass Weimar einen Knotenpunkt in der Landkarte der internatio- nalen zeitgenössischen Musikszene bildet, verdanken wir nicht zuletzt den Tagen Neuer Musik. Bereits zum 29. Mal verschaffen sie Komponisten der Gegenwart die verdiente öffentliche Präsenz in Thüringen.
Unter dem Motto „GLOBAL – LOKAL“ steht das Aufeinander- treffen verschiedener Musikkulturen in diesem Jahr im Fokus des Festivals. Wie eh und je trägt es der Vielfalt der Entwicklungs- stränge in der zeitgenössischen Musik Rechnung und ermöglicht den Austausch über musikalische Positionen. Es führt Nachwuchs- talente und bedeutende Persönlichkeiten in Weimar zusammen, so dass das Festival Ausgangspunkt und Zentrum für weitere Ver- netzungen ist.
Werke der Neuen Musik entziehen sich häufig jeglicher Ein- ordnung in klassische Genres. Sie experimentieren mit Melo- die, Harmonik und Rhythmus. Daher bildet die Neugier die Grundlage für das Hören zeitgenössischer Musik. In diesem Sinne wünsche ich den 29. Tagen Neuer Musik Weimar viele neugierige Besucherinnen und Besucher.
Mein herzlicher Dank gilt den Organisatorinnen und Organisa- toren des Festivals. Sie eröffnen unserer von der Schönheit des Klangs geprägten Gesellschaft Räume, in denen eine Musik gedeiht, die vom Widerspruch gegen ihre Voraussagbarkeit lebt. Den Gästen des Festivals wünsche ich viele unvorherseh- bare Momente höchster klanglicher Konzentration.
Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff
Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten
S / 05 S / 08
S / 11
S / 13 S / 17
S / 22 S / 24
MI / 26.10. / 19.30 UHR
Asien – Amerika
Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM)
mon ami
MI / 26.10. / 22.00 UHR
Klavier und Elektronik
Werke von Karlheinz Stockhausen und Hans Tutschku
Frank Gutschmidt (Berlin) – Klavier
mon ami
DO / 27.10. / 19.30 UHR
Improvisationskonzert
Geoff Gersh – Shamisen
Ludger Hennig – Live-Elektronik Joss Turnbull – Tombak
Stefan Schultze – präparierter Flügel
mon ami
DO / 27.10. / 22.00 UHR
HUSEAC Boston meets SEAM Weimar
Werke von Kompositionsstudenten und Professoren
SEAM (Coudraystraße 13A)
FR / 28.10. / 19.30 UHR
Minguet-Quartett (Köln)
Werke von Hans Werner Henze, Wolfgang Rihm, Snezana Nesic, Konstantia Gourzi und Peter Ruzicka mon ami
FR / 28.10. / 22.00 UHR
Porträtkonzert Francis Dhomont zum 90. Geburtstag
Klangregie: Francis Dhomont SEAM (Coudraystraße 13A)
SA / 29.10. / 19.30 UHR
Open_Music QUARTETT (Stuttgart)
Werke von Sandeep Bhagwati und Hans Tutschku
mon ami
26.10.2016, 19.30 UHR
JUGEND- UND KULTURZENTRUM „MON AMI“
ERÖFFNUNGSKONZERT: ASIEN – AMERIKA
Transformation akustischer Momentaufnahmen
Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM):
Daniel Hoffmann – Trompete/Flügelhorn
Matthias von Hintzenstern – Violoncello/Obertongesang Michael von Hintzenstern – Klavier
Hans Tutschku (Boston) – Live-Elektronik
Eine Musik, die im Moment der Aufführung entsteht, bildet einen wesentlichen Schwerpunkt im Wirken des 1980/81 gegründeten „Ensembles für Intuitive Musik Weimar“ (EFIM). Dabei hat sich die Gruppe auf Instrumental- und Vokalmusik mit Live-Elektronik spezialisiert und zahlreiche synästhetische Projekte realisiert.
Von Anfang an hat EFIM dabei intensiv mit Karlheinz Stock- hausen zusammengearbeitet, mit dem es 2005 sechs Kom- positionen aus seinem Zyklus FÜR KOMMENDE ZEITEN auf CD einspielte. Stets auf der Suche nach „besonderen Orten“, gastierte die Gruppe in 30 Ländern.
Zu den Besonderheiten ihres Wirkens dürfte gehören, dass sie nicht nur eine Musik mit neuartigen Klängen präsentiert, sondern auch sogenannte „Sound-Scapes“ (Klang-Schaften) aus fernen Städten und Landschaften aufzeichnet, um sie dann weiter zu verarbeiten und in spätere Aufführungen zu integrieren.
Diese akustischen Momentaufnahmen wecken nicht nur per- sönliche Erinnerungen, sondern spiegeln zugleich die Atmo- sphäre und Befindlichkeit einzelner Orte wider. Das „motivisch- thematische Material“ bildet den Ausgangspunkt für Transfor- mationen und Improvisationen.
Das Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM) begann diese Form des Musizierens mit „globalen Klang-Ereignissen“ nach einer Tournee durch Süd- und Mittelamerika (1993)
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und kombinierte sie mit einer „Ausstellung zum Hören“ in 14 Räumen des damals leer stehenden Gasthauses „Zum schwarzen Bären“ (Kunstfest Weimar 1994). Zahlreiche wei- tere Projekte folgten.
Unter dem Titel ASIEN – AMERIKA wird nun an Reisen ange- knüpft, die das Ensemble und Hans Tutschku in die „Alte Welt“ und die „Neue Welt“ führten. GLOBAL und LOKAL sollen sich dabei begegnen!
Zu den prägenden Erfahrungen im Wirken der Gruppe ge- hörte 1993 das Konzert in einem Lavafeld in Mexico-City, in dem – bei Vollmond! – ein Werk über die vier Elemente vor 2000 begeisterten Menschen aufgeführt wurde: ERUPCION DE SONIDOS – AUSBRUCH DER KLÄNGE.
Im Jahr 2000 war es ein 670 Meter unter Tage in das Salz gefräster Konzertsaal, der die Hülle für das Werk KLANG- SCHACHT SONDERSHAUSEN bot.
Ausgehend von Bauhaus-Traditionen wurden seit 1987 zahl- reiche synästhetische Projekte realisiert. So konnten 1989/90 in den Zeiss-Planetarien in Jena und Berlin unter dem Titel VOM KLANG DER STERNE „abstrakte Farbvariationen im Kos- mos“ gestaltet werden. 2009 wurde das von Hans Tutschku konzipierte Projekt POLYVISION für Tanz, mehrdimensionale Projektion und Ensemble uraufgeführt.
Zu den bisher aufwendigsten Kreationen gehörte FLAMMEN- KLANG MEININGEN (1996) für 16 Heißluftballonbrenner, Tänzer, Chor, Ensemble und Zuspielband von Hans Tutschku. Die unterschiedlichsten Konfigurationen sechs Meter hoher Flammen korrespondierten in dem abendfüllenden Werk mit dem musikalisch-szenischen Geschehen im Englischen Garten der Residenzstadt.
Als inspirierend erwies sich die Zusammenarbeit mit dem Choreographen Joachim Schlömer, mit dem IMAGINÄRE RÄUME für 4 Tänzer, Ensemble und Raumklangsteuerung durch berührungsempfindliche Tanzflächen (Sensoren) für das „Kunstfest Weimar 1996“ erarbeitet wurde. 1998 kam es im Alten Gaswerk Weimar mit „Die Disco als Kunstraum“ zu einer fruchtbaren Begegnung mit DJ Juryman (London).
Anlässlich des europäischen Kulturstadtjahres „Weimar ’99“ gastierte das EFIM mit dem Projekt „Die Kirche als Klangskulp- tur“ (Konzerte in Kombination mit Klanginstallationen von Hans Tutschku) in Paris, Basel und Plovdiv.
„Sakraler Tanz“ stand 2003 im Mittelpunkt einer Präsentation zur KULTUR ARENA JENA in der Friedenskirche, die ge- meinsam mit Christine Kono (Japan/USA), Dimitris Kraniotis (Griechenland / Frankreich) und David Kern (USA / Deutschland) erarbeitet wurde.
Ob auf der EXPO 2000 in Hannover, auf den Festivals in Porto (2001), Warschau (2002), Rom (2003), Wien (2004) oder Brüs- sel (2006) – stets ist das EFIM auf einer Klang-Reise, die neue Dimensionen des Hörens erschließen möchte.
Bei Konzerten mit 192 Lautsprechern setzte es 2005 das Wellenfeldsynthesesystem IOSONO des Fraunhofer Instituts (Ilmenau) erstmals in einem Konzertsaal ein. 2006 nahm es bei einer USA-Tournee die Spuren auf, die über Lászlo Moholy- Nagy vom Weimarer Bauhaus zu John Cage führen. 2008 gas- tierte das Ensemble in Buffalo, Santiago de Chile und Litauen sowie 2009 in Österreich. Seit 2010 leitet es Seminare zur Interpretation Intuitiver Musik bei den Stockhausen-Kursen
in Kürten.
Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM)
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26.10.2016, 22.00 UHR
JUGEND- UND KULTURZENTRUM „MON AMI“
KLAVIER UND ELEKTRONIK
Frank Gutschmidt (Berlin) – Klavier Hans Tutscku (Boston) – Live-Elektronik
Karlheinz Stockhausen / 1928–2007
KLAVIERSTÜCK XII:
EXAMEN vom DONNERSTAG aus LICHT als Klaviersolo (1979 / 83)

KLAVIERSTÜCK XIV:
GEBURTSTAGSFORMEL vom MONTAG aus LICHT

Hans Tutschku / *1966
SHADOW OF BELLS (SCHATTEN DER GLOCKEN) für Klavier und Live-Elektronik (2015)
KLAVIERSTÜCK XII (1979/83)
Im ersten Akt „Michaels Jugend“ (1978–79) meiner Oper „Donnerstag“ aus „Licht“ kommt ein dreifaches musikalisches Examen vor (für Tenor, Trompete, Tänzer, Bassetthorn, Klavier, Tonband und eine „Jury“, bestehend aus Sopran, Baß sowie
2 Tänzer-Mimen, die auch als Sprecher mitwirken). In diesem Examen muß der Prüfling vor allem seine Kunst schnellen Aus- druckswandels und polyphoner Interpretation beweisen. Die drei Examen schließen ohne Pause aneinander an.

1983 schrieb ich Pour le Printemps musical de Vernier von die- sem „Examen“ eine Version für Klavier allein. Sie reiht sich ein in den Zyklus meiner Werke für Soloklavier als Klavierstück XII. Ich habe es meiner Tochter Majella gewidmet, die seit ihrem 16. Lebensjahr (1977) als Pianistin mit mir zusammenarbeitet.
Im Klavierstück XII habe ich zum ersten Male szenische Anwei- sungen notiert, z. B. mit leichten Hand- und Kopfbewegungen manchmal stimmlos rufen „weiter, weiter!“, unregelmäßige Schnalzer und Fingerclicks mit verschiedenen Tonhöhen, Kußgeräusche (einige Handküsse) oder schnelles Klatschen
der Handspitzen (mit Pausen), stimmlos zischen (mit vorge- schriebenen Tonhöhen), Zahlennamen rufen, singen (zum Klavierspiel), tonlos durch die Lippen rauschen wie Wind, Handschläge auf die Deckelkante und unter den Tastenkasten, mit Fingernägeln pizzicato (oder mit Plektrum) auf Klavier- saiten, und so weiter.
Karlheinz Stockhausen
KLAVIERSTÜCK XIV
Klavierstück XIV setzt die quasi szenische Praxis der beiden vorigen Klavierstücke fort. Der Pianist spielt am Klavier eine rituelle Rolle: lineare Figuren – polyphon überlagert – mit einer geschichteten Pedaltechnik aquarellartig verschwimmen lassend; durch eine „Geburtstags-Formel“ ein unsichtbares Wesen anrauschend, mit Kußgeräuschen grüßend und geflüs- terten Zahlen rufend; ihm in plosiven Glissandi farbige Rau- schen zupfeifend; langsam aus- und einatmend Pizzicati und metallische Schläge auf den Saiten vorspielend, fast pfeifend erinnernd, arpeggio-artige Aufwärtswellen anhaltend.
Karlheinz Stockhausen
Karlheinz Stockhausen (1928–2007) komponierte 376 ein- zeln aufführbare Werke, darunter den Opernyzklus LICHT, Die sieben Tage der Woche, der zwischen 1977 und 2003 entstand und insgesamt etwa 29 Stunden Musik umfasst. Alle sieben Teile des musikszenischen Werkes wurden zwischen 1981 und 2012 uraufgeführt. Karlheinz Stockhausen begann seine kom- positorische Laufbahn Anfang der 1950er Jahre. Bereits mit seinen ersten Werken der „Punktuellen Musik“ wie KREUZSPIEL (1951), SPIEL für Orchester (1952) und KONTRA-PUNKTE (1952 / 53) erlangte er internationale Berühmtheit. Seither haben viele seiner Kompositionen wesentliche Errungenschaften der Musik nach 1950 geprägt: von der „Elektronischen Musik“
über die „Raum-Musik“ bis zur „Multiformalen Komposition“.
SHADOW OF BELLS (SCHATTEN DER GLOCKEN)
Im Sommer 2014 verbrachte ich drei Monate in Japan, um Aspekte der traditionellen und zeitgenössischen Kultur und Rituale zu studieren. Ich besuchte unzählige Tempel, hörte ihre Glocken und flanierte durch die Gärten – alle pulsieren mit einem eigenen Rhythmus. Der Einfluss auf mein Zeitgefühl war unglaublich faszinierend.
„Shadow of Bells“ für Klavier und Elektronik bringt diese Erinnerungen in meine musikalische Welt zurück, aber ich versuche nicht, vorhandene Strukturen oder Musikquellen zu replizieren. Die Rolle der Elektronik ist sehr zurückgehalten, wie ein Schatten des Klaviers. Sie bildet einen akustischen Raum um das Instrument. Das 20-minütige Werk ist ein mäan- dernder Spaziergang durch imaginäre Landschaften der Stille und Resonanz. Die schnellen Wechsel zwischen flüssigen, kris- tallinen Passagen, spärlichen Linien und großen Akkorden sind ein Spiegel von einer Gesellschaft mit vielen Kontrasten.
Das Thema der Langsamkeit ist zentral in vielen meiner aktu- ellen Arbeiten. Die neue Komposition ist wieder eine Einladung,
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einen Schritt aus unseren schnelllebigen Aktivitäten zu gehen und kleine Elemente und ihre Variationen in der Zeit zu ent- decken. Hans Tutschku
Hans Tutschku ist seit 1982 Mitglied des „Ensembles für Intu- itive Musik Weimar“. Er studierte Komposition in Dresden, Den Haag und Paris, begleitete ab 1989 Karlheinz Stockhausen auf mehreren Konzertzyklen, um sich in die Klangregie einweisen zu lassen und besuchte 1996 Kompositionsworkshops von Klaus Huber und Brian Ferneyhough. 2003 promovierte er bei Prof. Dr. Jonty Harrison an der Universität Birmingham (PhD).
Er lehrte elektroakustische Komposition an der Weimarer Hoch- schule für Musik, am IRCAM in Paris, in Montbéliard und der Technischen Universität Berlin. Seit 2004 wirkt er als Komposi- tionsprofessor und Leiter des Studios für elektroakustische Musik an der Harvard University (Cambridge, USA). Einladun- gen zu Konzerten und Meisterkursen führten ihn in mehr als
40 Länder. Seine Werke wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Weimar-Preis.

Frank Gutschmidt studierte in Berlin bei Dieter Zechlin, Annerose Schmidt und Alan Marks, erhielt 1. Preise beim Bach- und Liszt-Wettbewerb sowie bei den Internationalen Stockhausen-Kursen in Kürten. In Weimar sorgte er in den letzten Jahren für spektakuläre Aufführungen der Werke von Karlheinz Stockhausen, Paul-Heinz Dittrich, Christfried Schmidt und Alain Gaussin.
27.10.2016, 19.30 UHR
JUGEND- UND KULTURZENTRUM „MON AMI“
IMPROVISATIONSKONZERT: „VERSCHRÄNKUNGEN“
Geoff Gersh – Shamisen
Ludger Hennig – Live-Elektronik Joss Turnbull – Tombak
Stefan Schultze – präparierter Flügel
Beim Zusammenspiel verschiedener Musiker treffen nicht
nur ihre Instrumente und virtuosen Fähigkeiten aufeinander, sondern auch ihre spezifische kulturelle Herkunft. Dabei ist es ein spannender Prozess, Querverbindungen herzustellen und unterschiedliche Ansätze miteinander zu verschränken.

Geoff Gersh (New York) und Joss Turnbull (Mannheim) sind sowohl mit der abendländischen als auch mit der asiatischen / orientalischen Musiktradition vertraut. Sie spielen die japani- sche Laute Shamisen und die iranische Kelchtrommel Tombak jedoch nicht nur in herkömmlicher Weise, sondern bringen diese auch experimentell zum Einsatz.
Ludger Hennig (Weimar) und Stefan Schultze (Berlin) be- schäftigen sich mit der elektroakustischen und analogen Transformation von Instrumentalklängen und verfolgen dabei apparatische Strategien der Improvisation.
Im Prozess der Aufführung sollen diese Ansätze zu einem Ganzen verschmelzen.
Alle vier Künstler sind in diversen Ensembles und Improvi- sations-Projekten aktiv. Die musikalische Begegnung in die- ser Besetzung feiert während der 29. Tage Neuer Musik in Weimar ihre Premiere.
Geoff Gersh (New York City/USA) – Shamisen
Der Komponist und Gitarrist Geoff Gersh lebt und arbeitet
in New York City/USA. Er studierte Jazzgitarre sowie das Spiel der japanischen Laute Shamisen. In seiner künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich mit der Erzeugung von Klängen,

die man normalerweise bei den jeweiligen Instrumenten nicht assoziiert.
Frank Gutschmidt
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Ludger Hennig (Weimar) – Klangkünstler
27.10.2016, 22.00 UHR
STUDIO FÜR ELEKTROAKUSTISCHE MUSIK COUDRAYSTRASSE 13A
ELEKTROAKUSTISCHES KONZERT HUSEAC MEETS SEAM
Harvard University Studio for Electroacoustik Composition (HUSEAC) trifft Studio für elektroakustische Musik Weimar (SEAM)
1. TEIL
Studio für elektroakustische Musik Weimar (SEAM)
Paul Hauptmeier
UNTITLED (2016)
für Akkordeon und Live-Elektronik, 10’00’’, Stereo Maria Löscher – Akkordeon, Live-Elektronik

Martin Recker
LEAPS (2016), 11’00’’, Stereo
William Amsler
LA VOIX DU LION (2016), 6’38’’, 5-Kanal
UNTITLED
Das Stück ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem klanglichen Potenzial des Akkordeons. Die extrem diver- sen Klangeigenschaften und die vielfältigen spieltechnischen Möglichkeiten des Instruments werden durch die Live-Elektronik noch erweitert und verschmelzen zu einer oft schwer voneinan- der zu trennenden Einheit.
Mein besonderer Dank gilt der Akkordeonistin Maria Löschner, die mir eine große Hilfe im Entstehungsprozess des Stückes war. Paul Hauptmeier
Paul Hauptmeier, 1993 in Jakarta (Indonesien) geboren, wuchs in Bremen auf. Neben Live-Elektronik liegt der Fokus seiner Arbeit auf der akusmatischen Musik. Seit 2015 studiert er Elektroakustische Komposition in Weimar.
Die experimentelle Klangerzeugung mit unterschiedlichen Objekten und Materialien, Live-Elektronik und installative Werke sind Schwerpunkte im Schaffen von Ludger Hennig. Seit einigen Jahren fokussiert er seine künstlerische Arbeit auf die Entwicklung neuer Strategien improvisierter Musik. 2009–2015 kuratierte er die Konzertreihe „klangkunst- projekte“ (Leipzig) und lehrte am Studio für elektroakustische Musik (SeaM) an der Hochschule für Musik in Weimar.
Joss Turnbull (Mannheim) – Perkussion
Joss Turnbull spielt nahöstliche Finger- und Handtrommeln sehr weit abseits von musikalischen Orientklischees und entgegen aller Hörgewohnheiten. Neben einem Studienau- fenthalt in Istanbul bereiste er Syrien, den Libanon und den Iran, um Eindrücke der verschiedenen Trommel-Traditionen zu sammeln. Schon vor seinem Jazz-Studium an der Mannheimer Musikhochschule und im Anschluss nahm er Privatunterricht bei Mohammad Reza Mortazavi und Madjid Khaladj in irani- scher Perkussion. Die Kelchtrommel Tombak steht seither im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit.
Stefan Schultze (Berlin) – Komponist, Pianist
Der Komponist und Pianist Stefan Schultze verbindet Elemen- te der Neuen Musik, der Improvisation und des Jazz. Seine Passion gilt sowohl dem kollektiven Klangbild großer Beset- zungen, wofür er 2010 mit dem WDR-Jazzpreis für Kompo- sition ausgezeichnet wurde, als auch der Verknüpfung von Improvisation und Komposition in kleineren Besetzungen. Er integriert Geräusche, nimmt Präparationen vor und erweitert die Spieltechniken.
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LEAPS
2. TEIL
Harvard Studios für Elektroakustische Komposition
Reylon A. Yount
THE CONVERSATION (2015), 8’30’’
Kapena Baptista
HO’ONOHO (2015), 5’13’’
Tree Palmedo
JOURNEY (2016), 5’55’’
Hans Tutschku
REMEMBERING JAPAN – Teil 1 (2016), 9’48’’, 16-kanalig Flo Menezes gewidmet
THE CONVERSATION
Gute Gespräche haben etwas Geheimnisvolles. Mit spontan auf- genommenen Momenten von Dialogen will diese Komposition die energiegeladenen Reibungen und Resonanzen portraitieren, die beim Sprechen und gegenseitigen Zuhören der beteiligten Personen entstehen.
Reylon Yount ist ein junger Musiker aus San Francisco, Kalifornien. Er spielt yangqin (chinesischer Dulcimer) und hat als Gastmusiker in Yo-Yo Mas Silk Road Ensemble mitgewirkt. Ausser traditioneller chinesischer Musik spielt er balinesisches Gamelan und hört Indie-Pop.
HO’ONOHO
„Ho’onoho“ bedeutet in Hawaii, einen Geist für Besessenheit anzurufen. Die Komposition evoziert verschiedene Stadien im Ho’onoho-Prozess: Singen, Darbringen von Geschenken, Besessenheit, Trance, Auflösung.
Kapena Baptista studierte Musik und Anthropologie in Harvard und ist in diesem Jahr Fulbright Stipendiat in Lissabon, Portugal.
„Leaps“ resultiert aus der Beschäftigung mit nichtlinearen Verläufen. In Anlehnung an narrative Strategien in Film und Literatur ist eine musikalische Form entstanden, in der ver- schiedene „Handlungsstränge“ gleichzeitig ausgeführt und immer wieder miteinander verknüpft werden. Das Stück zeigt so die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiten und Prozesse mit ihrem Einfluss auf die Subjektivität des Raumes.
Martin Recker wurde 1991 in Bremen geboren. Seine Arbeiten zeigen ein weit gefasstes Interesse an experimenteller elektro- nischer Musik und Live-Elektronik. Seit 2014 studiert er Elektro- akustische Komposition in Weimar.
LA VOIX DU LION
ist die introspektive Reise eines kongolesischen Migranten aus seiner Heimat auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Seine geistige Reise findet auf einem Schiff statt, mit dem er das europäische Festland erreichen möchte.
William Amsler, 1991 in Marseille geboren, studierte an der Aix-Marseille Universität am Institut SATIS (Science, Art and Technics for Sound and Picture) Filmton-Ingenieur. Seit Oktober 2016 ist er Kompositions-Student an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ am Studio für elektroakustische Musik (SeaM).
SEAM
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JOURNEY
28.10.2016, 19.30 UHR
JUGEND- UND KULTURZENTRUM „MON AMI“
MINGUET QUARTETT (KÖLN):
Ulrich Isfort – 1. Violine Annette Reisinger – 2. Violine Aroa Sorin – Viola
Matthias Diener – Violoncello
HANS WERNER HENZE / 1926–2012
2. STREICHQUARTETT (1952)
Wolfgang Rihm / *1952
GESTE (2015) für Streichquartett / für das Minguet Quartett
Konstantia Gourzi / *1962
ANÁJIKON, THE ANGEL IN THE BLUE GARDEN (2015), op. 61 STREICHQUARTETT NR. 3
Snezana Nesic
RUNNING THOUGHTS for String Quartet (2008/09)
Peter Ruzicka / *1948
„...ÜBER EIN VERSCHWINDEN“ (1992) 3. STREICHQUARTETT
2. STREICHQUARTETT
Im Oktober 1952, dem Entstehungsjahr des 2. Streichquartetts, lernte Hans Werner Henze auf einer Tagung der „Gruppe 47“ Ingeborg Bachmann kennen, mit der sich eine intensive Künst- lerfreundschaft entspann. In dieser Zeit schrieb er im Auftrag des Südwestfunks Baden-Baden sein 2. Streichquartett in drei Sätzen.
Hans Werner Henze, der u. a. bei Wolfgang Fortner Kom- position studierte, schuf mehr als 40 Bühnenwerke, zehn Sin- fonien, Konzerte, Kammermusik, Oratorien, Liederzyklen und ein aus neun Konzerten bestehendes Requiem.
GESTE
„Das Werk von Emilio Vedova (1919–2006, italienischer Maler des Informel) ist geprägt von kraftvollen Setzungen. In der Erin-
Das Stück ist eine Reise durch verschiedene Räume, jeder mit einem eigenen Charakter. Einige bleiben nah an existierenden Orten, während andere aus dichten Collagen gefundener Klänge komponiert wurden. Zwei Hauptquellen waren ein quietschender, hölzerner Drehstuhl und eine alte Gitarre.
Tree Palmedo ist Trompeter, Komponist, Autor und Song- writer aus Portland, Oregon. Er beendete seine Studien in Harvard 2016 und schließt parallel ein Masterprogramm am New England Conservatory in Jazz und Improvisation ab.
REMEMBERING JAPAN
Dies ist der erste Teil einer abendfüllenden Komposition über Japan. Im Jahr 2014 verbrachte ich drei Monate in diesem faszinierenden Land, um musikalische Rituale zu erforschen, mit lokalen Musikern zu improvisieren und unzählige Klänge in Tempeln, Gärten, Straßen und in der Natur aufzunehmen.
In meiner Vorstellung wird das Werk eine akustische Reise, die die vielen sehr unterschiedlichen Eindrücke kombiniert und räumlich sowie zeitlich unabhängige Klangszenen in einen Raum bringt.
Die Arbeit kommuniziert deutlich mit der japanischen Kultur, während zugleich meine eigenen kompositorischen Anliegen widergespiegelt werden: Polyphonie, Dichte, Raum und Erinnerung fungieren als strukturierende und formbildende Prinzipien. Hans Tutschku
Biographie Hans Tutschku ... siehe Seite 10
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nerung bleiben vor allem heftig artikulierte Vertikalen – Reste von Schlägen? – von Architektur? – schwarze Zeichen in Aufruhr. Mit ähnlichen Gestalten wollte ich musikalisch antworten ...
Musik ist zu vieldeutig, um je die zeichenhafte Kraft eines wirk- lichen Bildwerks zu erreichen. Dafür aber dringt Musik in uns ein – manchmal wie ein Gift. Und sie erschüttert unsere Grund- lagen. Manchmal. Darin jedoch gleicht sie dem Bild, dessen Blick und Anblick wir wirklich standhalten.“ Wolfgang Rihm
Wolfgang Rihm, der bei Wolfgang Fortner, Humphrey Searle, Karlheinz Stockhausen und Klaus Huber studierte, hat bisher etwa 400 Werke geschaffen. Seit 1985 ist er Kompositionspro- fessor in Karlsruhe. Die Titel seiner Kompositionen sind symbol- haft für die Musikgeschichte der letzten Jahrzente geworden – ein Gemeingut, dessen sich Orchester, Ensembles und Kammer- gruppen regelmäßig und selbstverständlich bedienen.
ANÁJIKON, THE ANGEL IN THE BLUE GARDEN
„Anájikon für Streichquartett ist die erste Komposition einer Reihe, die Engeln gewidmet ist. Engel, die als Bilder oder Skulp-
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turen von befreundeten Künstlern entstanden sind, inspirierten mich, ihnen Klang zu geben und sie musikalisch lebendig darzustellen. Farbe, Form und Ton sind für mich untrennbar.
Mit dieser gemeinsamen ,Welt’ im Hintergrund Musik zu komponieren, empfinde ich als Herausforderung und als Ge- schenk. Die Skulptur des Klang-Engels Anájikon ist der Engel des Künstlers Alexander Polzin. Die Musik soll nicht die Skulptur interpretieren, sondern ihr klanglich nah stehen und eine neue Verbindung zu ihm schaffen.“ Konstantia Gourzi
Konstantia Gourzi ist eine griechische Komponistin und Dirigentin, die in den 1990er Jahren in Berlin die Gruppen „attacca“ und „echo“ gründete. Seit 2002 wirkt sie als Kom- positionsprofessorin in München.
RUNNING THOUGHTS
„Im Frühling 2003 lernte ich die Dichterin Inger Christiansen
bei einer Lesung kennen, bei der sie ihre Texte auf Deutsch und Dänisch vortrug. Ich spielte im Anschluss daran eigene Stücke.

Ihr Gedichtband „Alphabet“, aus dem ich damals erstmals Aus- züge hörte, hat auf mich eine unglaubliche Faszination ausge- übt, ebenso ihre Art des Vortrags: gemessen, musikalisch und der Textstruktur entsprechend. Kongenial! Auf meine Frage, ob sie sich eine musikalische Gestaltung des „Alphabeths“ vor- stellen könne, da dieses sowieso schon eine Art von Musik sei, antwortete sie spontan mit „ja!” ...
Bei der Konzeption des Quartetts erschienen mir die Aus- schnitte und Strukturen des „Alphabets“ als unverweigerliche textliche Vorlage. Das in meiner Musik angelegte Wachstum und Miteinanderspiel von Texturen sowie zeitliche Verengun- gen und Dehnungen sich gruppierender „Aussagen“ fanden in ihrer Poetik eine Entsprechung. Die Homogenität der Streicher- besetzung erlaubte eine kohärente Umsetzung dieser Prinzipien und verlieh den sich bewegenden Klängen eine Gemeinsam- keit, gleich den Molekülen in einem chemischen Element ...” Snezana Nesic
Snezana Nešic studierte Komposition, Akkordeon und Dirigie- ren an der Musikhochschule in Kiew und an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (Komposition bei Prof. Johannes Schöllhorn). Seit 2007 unterrichtet sie Neue Musik und seit 2011 auch Komposition in Hannover. Als Komponistin und Interpretin gewann sie zahlreiche internationale Preise.
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MINGUET QUARTETT © Frank Rossbach
„ ... ÜBER EIN VERSCHWINDEN“
Streichquartette seien für ihn „wie Abschnitte eines Tage- buches, Notate vorläufigen Befindens, Reaktionen meiner ,Innenwelt’ auf Ereignisse, Zeichen und Erfahrungen”, hat der Komponist einmal gesagt. Erinnerung, Trauer, Abschied behandelt sein 1992 entstandenes Streichquartett Nr. 3 mit dem Titel „...über ein Verschwinden”.
Klanglich und gestisch ist es ein Werk der extremen Gegen- sätze. Die fragilen, sich an der Grenze zur Stille bewegenden Außenteile umrahmen einen Mittelteil, der heftige Ausbrüche bereithält. Wie das Adagio aus Mahlers neunter Sinfonie,
aus dem er motivisches Material verarbeitet, gestaltet er eine Musik, die im Zeichen von Abschied und Trauer steht.
Peter Ruzicka komponierte sein Streichquartett im Gedenken an seine Mutter.
Peter Ruzicka ist Komponist, Dirigent und Intendant. Er stu- dierte unter anderem bei Hans Werner Henze und Hans Otte. Seit 1990 hat er eine Professur in München. Für seine Werke erhielt er zahlreiche internationale Preise. Als Intendant leitet er seit 2015 die Salzburger Osterfestspiele.
Das Minguet Quartett – gegründet 1988 – zählt heute zu den international gefragtesten Streichquartetten und gastiert in allen großen Konzertsälen der Welt. Namenspatron ist Pablo Minguet, ein spanischer Philosoph des 18. Jahrhunderts, der sich in seinen Schriften darum bemühte, dem breiten Volk Zugang zu den Schönen Künsten zu verschaffen.
Das Ensemble konzentriert sich gleichermaßen auf die klas- sisch-romantische Literatur wie die Musik der Moderne und engagiert sich durch zahlreiche Uraufführungen für Komposi- tionen des 21. Jahrhunderts. Begegnungen mit bedeutenden Komponisten inspirieren die vier Musiker zu immer neuen Programmideen.
Die erstmaligen Gesamtaufnahmen der Streichquartette von Wolfgang Rihm, Peter Ruzicka und Jörg Widmann zählen zu den bedeutendsten Projekten. Letztere wurde im Mai 2015 von FONO FORUM mit fünf Sternen ausgezeichnet. Ein Hö- hepunkt der letzten Jahre war die Aufführung von Karlheinz Stockhausens Helikopter-Streichquartett 2015 im Rahmen eines Konzeptes des Dirigenten Kent Nagano.
2010 wurde das Minguet Quartett mit dem begehrten ECHO Klassik sowie 2015 mit dem renommierten französischen Dia- pason d’Or des Jahres ausgezeichnet.
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Kompositions- wettbewerbe
Konzerte
Workshops
FR MUSIK
Vorträge
Notenverlags- ausstellung
20 21
WEIMARER
18.bis22.April’17
ZEITGENÖSSISCHE
FRHJAHRSTAGE
Weimar
www.via-nova-ev.de
28.10.2016, 22.00 UHR
STUDIO FÜR ELEKTROAKUSTISCHE MUSIK COUDRAYSTRASSE 13A
PORTRÄTKONZERT FRANCIS DHOMONT
Konzert zum 90. Geburtstag
LE CRI DU CHOUCAS (2014 / 15)
Texte: Franz Kafka
Dauer: 70 Minuten
Meinem Vater gewidmet
Klangregie: Francis Dhomont (Avignon)

LE CRI DU CHOUCAS
ist der dritte und letzte Teil meines „Cycle des profondeurs“, eines drei-stündigen Triptychons mit „Sous le regard d’un soleil noir“ (1981) und „Forêt profonde“ (1994–96). Diese drei psychoanalytischen „elektroakustischen Melodramen“ (Michel Chion) sind von der Literaturkritikerin, Übersetzerin und Psycho- analytikerin Marthe Robert inspiriert, vor allem von ihrem Essay „Seul, comme Franz Kafka“ (1979). Schon Pièrre Schaeffer, der Vater der „musique concrète“, bemerkte: „wie kann man denn nicht die Schaffung der Musik hinterfragen, die doch auf mys- teriöse Weise Psychologie der Wahrnehmungen und die Tiefen miteinander verbindet“.
Warum dieser Titel – Le cri du Choucas? Kavka ist der tsche- chische Name für Dohlen, eine Art Rabe, dessen Bild auch den Laden von Hermann Kafka, den Vater von Franz, schmückte. Kafka selbst sagte: „Ich bin eine Dohle, ein verstörter ,kavka’.“ Tiersymbolik ist sehr präsent in Kafkas Werk und suggerierte diesen Titel: tiefer Schrei, einsam, seltsam, nie bombastisch und oft erstickt, ist in jeder Geschichte des Autors zu hören, wenn auch manchmal nur fragmentarisch.
Der berühmte Text „Vor dem Gesetzt“ aus Kafkas „Prozess“ ist der rote Faden der Komposition, wobei das Gesetz undurch- dringliche Bereiche darstellt, in die die menschliche Vorstellung nicht eindringen kann. Oft werden aber von Kritikern in einem Atemzug von „Vereinfachung“ Kafkas Gedanken auf ‚bloße Bürokratiekritik’ reduziert. „In der Strafkolonie“, schreibt Marthe Robert, „beschreibt Kafka Gesetz als eine große Zwangsgewalt, die einzig die Funktion der automatischen Anwendung von Strafe hat.“ Vor der Komposition von „Le cri du choucas“ kom- ponierte Francis Dhomont vier Etüden für Kafka, die, zusammen mit neuen Elementen, in das Melodrama eingearbeitet wurden.
Texte von und über Kafka wurden mit verschiedenen bekannten und unbekannten Stimmen aufgenommen und transformiert. Dies sind einige Themen des Werkes: das Gesetz, die Schuld, der Vater, die Einsamkeit, Träume, unmögliche Nachrichten, Tod.
„Le cri du Choucas“ wurde im Studio des Komponisten in Avignon (Frankreich) realisiert und am 15. Oktober 2014
im Théâtre Marni, Brüssel (Belgien) uraufgeführt. Die ur- sprünglichen Texte von Franz Kafka waren Gegenstand einer neuen Übersetzung ins Französische von Francis Dhomont. Aufgenommene Stimmen: Martin Engler, Marthe Forget, Tom Goldschmit, Pierre Louet, Marthe Robert, Hans Tutschku, Annette Vande Gorne, Marie-Jeanne Wyckmans und einige anonyme Zitate.
Francis Dhomont
Francis Dhomont (* 2. November 1926 in Paris) gehört zu den „Urvätern“ der musique concrète. Er sammelte erste Er- fahrungen mit Pierre Schaeffer, dessen Einfluss ihn in seiner gesamten Karriere begleitete. Seit Anfang der 1960er Jahre komponiert er ausschließlich akusmatische Musik. Seit 1963 arbeitete Dhomont in seinem eigenen Studio in der Provence. Er ist Mitbegründer und Präsident des Festivals Musiques Multiples in Saint-Rémy-de-Provence, wodurch er verstärkt die Aufmerksamkeit eines Fachpublikums auf sich zog. 1979 ereilte ihn der Ruf für einen Lehrstuhl an der Universität in Montreal, den er bis 1996 innehatte. Seit 2005 lebt und ar- beitet er wieder in Frankreich. „In der elektroakustischen Musik ist alles gut, was einen Klang erzeugt“ – mit dieser Überzeugung widmet sich Francis Dhomont jener Kunstform nun seit weit mehr als 50 Jahren voller Passion und Intensität. Viele seiner Werke wurden mit wichtigen Preisen ausgezeich- net. Zum wiederholten Male ist er „Composer in Residence“ der Tage Neuer Musik in Weimar.
Francis Dhomont
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29.10.2016, 19.30 UHR
JUGEND- UND KULTURZENTRUM „MON AMI“
OPEN_MUSIC QUARTETT (STUTTGART)
Felix Borel – Violine
Scott Roller – Violoncello Michael Kiedaisch – Schlagzeug Jürgen Kruse – Klavier
Sandeep Bhagwati / *1963
MIYAGI HAIKUS I (2011)
Freie Improvisation
Sandeep Bhagwati / *1963
MIYAGI HAIKUS II
Freie Improvisation
Sandeep Bhagwati / *1963
MIYAGI HAIKUS III
Hans Tutschku / *1966
RESONATING LINES
für Violine, Violoncello, Klavier, Schlagzeug und Elektronik (2015)

MIYAGI HAIKUS I BIS III
„Am 11. März 2011 suchte eine dreifache Katastrophe Japan heim: Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze. Die Miyagi Präfektur wurde vom Tsunami als erste getroffen. Zufällig hatte ich damals gerade Mangas und Bücher zu japanischer Geschichte, Ästhetik und Lyrik gelesen und etliche japanische Filme angeschaut. Als ich die Live-Bilder vom Tsunami sah, ihre Gewalt und ihr Ausmaß, war ich daher besonders erschüttert – und dann kam der Meltdown von Fukushima und die unsichtbare Verwüstung auch dieser Präfektur.
In fast unwillkürlicher Reaktion auf diese Bilder komponierte ich an einem Vormittag 17 musikalische Haikus, sicherlich eines meiner spontansten Werke. Ein Haiku ist eine traditio- nelle Gedichtform Japans mit 17 Silben, üblicherweise auf- geteilt in drei Verse von fünf, dann sieben und wieder fünf Silben. Der dritte Vers ist eine Art Ergebnis der ersten beiden, eine Synthese, eine Überraschung – oder ein Widerstand.
In meiner Partitur sind die 17 Haikus selbst wie im Haiku an- geordnet: zum Beispiel sind die ersten fünf ohne Rhythmus
notiert, die folgenden sieben nur als Rhythmen ohne feste Tonhöhen: erst in den letzten fünf notiere ich beides. Jeder einzelne Haiku folgt ebenfalls dem Schema – fünf “Einheiten” mit einem bestimmten Charakter, dann sieben mit einem an- deren, schließlich wieder fünf mit einer Art Kombination der beiden.
Diese strikte Ordnung kann aber von den Ausführenden be- fragt werden: denn die Partitur legt nicht fest, welche und wie viele Musiker hier spielen sollen. Sie ermuntert vielmehr mit klaren Anweisungen alle Interpreten, das vorliegende Material zu adaptieren, neu anzuordnen, zu orchestrieren - und zu improvisieren. So ist also jede Version eine Mitschöpfung der Musiker.“ Sandeep Bhagwati, November 2015
Sandeep Bhagwati, in Bombay/Indien geboren, lebt in Montréal, Berlin und Mumbai. Er ist Komponist, Theater- macher, Dichter, Dirigent, künstlerischer Forscher. Weltweite Aufführungen seiner Werke in allen Genres von Vokal- bis Computermusik (darunter fünf Musiktheaterwerke), meist
bei großen Festivals. Sein „comprovisatorischer“ Zugang zum Komponieren speist sich aus der engen, oft jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Musikern vieler Kulturen, von indischer Kunstmusik bis Techno, von Free Jazz bis hin zu koreanischer und bayerischer Volksmusik, mit Orchestern und Ensembles Neuer Musik. Künstlerischer Leiter und Kurator mehrerer inter- nationaler Festivals für Neue Musik (ADEvantgarde, Klangriffe, Rasalila, Montréal Nouvelles Musiques), Initiator und Leiter intertraditioneller Austauschprojekte und dreier intertraditi- oneller Ensembles in Berlin, Montréal und Pune. Seit 2000 Professor für Komposition und Multimedia an der Musikhoch- schule Karlsruhe. Seine derzeitige Forschung beschäftigt sich
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mit interaktiven, multisensorischen Partitursoft- und -hard- wares, mit nichtvisuellem Theater und mit Aspekten intertradi- tioneller, globaler Musikästhetik.
RESONATING LINES
„Die Musiker befinden sich im Spannungsfeld zwischen In- terpretation auskomponierter musikalischer Linien und der Erfindung neuen musikalischen Materials. In wechselnden Kombinationen zwischen den Instrumenten werden Freiräume ausgelotet, in denen schon Bekanntes in neue Qualitäten verwandelt werden kann und soll. Die Resonanzen der Linien geschehen also sowohl auf der klanglichen Ebene in Form
von Imitationen und Erweiterungen des Klangraums mit der Elektronik; als auch im symbolischen Sinne: in den improvisa- torischen Momenten räsonieren die vorher ausgeschriebenen musikalischen Ideen mit der momentanen Kreativität der Spie- ler. Kontrastierende Energie- und Dichtegrade schaffen einen musikalischen Fluss zwischen Solo und Tutti, wobei sich die Linien ineinander verschlingen und zuweilen zu Texturen und Blöcken werden.“ Hans Tutschku
Biographie Hans Tutschku ... siehe Seite 10
Das Open_Music Ensemble (in den letzten Jahren am häu- figsten in Quartett-Besetzung) entwickelte sich aus der Grup- pe „gelberklang“, die sich seit 1992 der Interpretation zeit- genössischer Kammermusik widmete, oft in Beziehung zu anderen Künsten. Ab 2000 spielte die Improvisation eine immer wichtigere Rolle, oft kombiniert mit komplexen zeitge- nössischen Partituren. Von 2001 bis 2006 waren die Streicher aus „gelberklang“ auch häufig unter den Namen „Helios Streichquartett“ mit einer ähnlichen musikalischen Agenda zu hören. In dieser Besetzung spielte Felix Borel Violine, der 2015 Ulrike Stortz in dieser Funktion auch im Open_Music Quartett ablöste.
Inhaltlich und ästhetisch für Kunstausstellungen konzipierte Programme (z. B. zu Rothko, Newman, Serra, Richter, Mell und Minimal / Zero-Ausstellungen) wurden in Museen und Galerien mit Begeisterung aufgenommen. Neben Tanz- und Musiktheater gab es auch verschiedene Programme mit Musik und Literatur.
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EVENT UND STUDIOTECHNIK GMBH
Technik für Töne und Farben
29. TAGE NEUER MUSIK IN WEIMAR – 26.10.2016 BIS 29.10.2016 /////////////
Schirmherr / Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei /// Veranstalter / Klang Projekte Weimar e. V. / Paul-Schneider-Str. 26, 99423 Weimar / Telefon 0162- 4078024 / michaelvonhintzenstern@gmail.com /// Ehrenpatrone / Karlheinz Stock- hausen † / Henry Pousseur † / Francis Dhomont (Frankreich) / Christian Wolff (USA) /// Künstlerischer Leiter / Michael von Hintzenstern (Weimar) /// Redaktion / Michael von Hintzenstern und Hans Tutschku /// Medienpartner / Radio LOTTE Weimar / Sondersendungen am 19. Oktober und 9. November 2016, jeweils 23 Uhr, auf 106,6 MHz, im Kabel 107,9 MHz, Live-Stream im Internet: www.radio-lotte.de
KARTENVERKAUF: Tourist Information Weimar, Markt 10, Tel. 03643 - 745 745 oder immer jeweils 30 Minuten vor Konzertbeginn /// KARTENPREISE: 8 Euro (VVK: 7 Euro), ermäßigt: 6 Euro (VVK 5 Euro) www.neue-musik-thueringen.de
Kulturstiftung
des Freistaats Thüringen
weimar
Kulturstadt Europas
gudman.de

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